Wege der Heilung und Förderung in der Integrativen Therapie
Psychotherapie ist mehr als reine Krankenbehandlung - oder wie
es die Gestalttherapeuten Erving und Miriam Polster geschrieben
haben: "Therapie ist zu wertvoll, um nur den Kranken vorbehalten
zu sein."
Gerade die humanistischen Therapieverfahren strebten neben der
Heilung immer auch persönliches Wachstum und eine Verbesserung
der menschlichen Beziehungen in der Gesamtgesellschaft an. In dieser
Tradition unterscheidet Petzold für die Integrative Therapie
insgesamt vier Wege der Heilung und Förderung:
1. Weg: Bewusstseinsarbeit und Sinnfindung
Hierbei geht es in erster Linie um Gewinn von Einsicht und Erkenntnis.
Unbewusste Aspekte des Handelns und Erlebens werden deutlicher und
PatientIn und TherapeutIn verstehen die Bedeutung der Symptome,
inneren und äußeren Konflikte und die Auswirkungen von früher erlittenen Traumata
auf das aktuelle Leben der PatientIn. Dabei sollen Zusammenhänge
nicht bloß rational verstanden werden, es geht vielmehr um
ein ganzheitliches Erfahren, um "Evidenzerfahrungen" mit
emotionaler Beteiligung. Dieser Weg steht bei tiefenpsychologischem
Vorgehen und in Fokal- bzw. Kurzzeittherapien im Vordergrund.
2. Weg: Nachsozialisation und Entwicklung von Grundvertrauen
In einer heilsamen therapeutischen Beziehung kann gestörtes
oder mangelhaft ausgebildetes Grundvertrauen zum Teil wieder aufgebaut
werden. Hierzu werden beispielhaft alternative oder korrigierende
emotionale Erfahrungen ermöglicht. Es kann sich um einen Prozess
des Nach-Nährens handeln mit dem Ziel eines positiveren Bildes
von sich selbst und anderen Menschen. Dieser Weg erfordert eine
gewisse Regression und ist deshalb vor allem in längeren Einzeltherapien
und Gruppentherapien möglich.
3. Weg: Erlebnisaktivierung zur Persönlichkeitsentfaltung
Eine weitere Möglichkeit, das persönliche Wachstum anzuregen,
besteht in der Bereitstellung kreativer Erlebnismöglichkeiten.
Mitunter ist ein allein aufdeckendes Arbeiten wenig hilfreich. Statt
dessen werden durch Übungen und kreative Materialien gezielt
neue Beziehungs- und Erfahrungsmöglichkeiten angeboten.
4. Weg: Solidaritätserfahrung und Förderung von sozialem
Engagement
In vielen Fällen müssen brüchig gewordene soziale
Netze neu aufgebaut oder erweitert werden. Über die Erfahrung
von wechselseitiger Hilfestellung in Therapie- oder Selbsthilfegruppen
sollen gezielt Mitmenschlichkeit und engagierte Verantwortung für
die Integrität von Menschen, Gruppen und Lebensräumen
gefördert werden. Therapie wird so ansatzweise zur "Kulturarbeit".
Diese vier Wege der Heilung und Förderung beschreiben die
Möglichkeiten integrativer therapeutischer Arbeit. Im Therapieverlauf
können einzelne Wege im Vordergrund stehen oder verschiedene
Wege abwechselnd beschritten werden.
Die für die Integrative Therapie beschriebenen Wege lassen
sich in anderen Therapieverfahren und -methoden teilweise in ähnlicher
Form wiederfinden.
Literatur:
H.G. Petzold: Integrative Therapie, Band I,1 S. 173 ff., Junfermann-Verlag,
Paderborn 1988
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